Bandscheibenvorfall (BSV)

Definition

Austritt von Teilen des weichen BS-Kernes (Gallertkern) durch einen Riss des äußeren Faserringes. Der Vorfall rutscht meistens in den Wirbelkanal hinein.

Mittlerer Bandscheibenvorfall:

Der Riss des Faserringes liegt in der Mitte. Der Vorfall rutscht in den mittleren Bereich des Wirbelkanales, wo relativ viel Raum ist. Nervenwurzeln werden hier nur gequetscht, wenn der Vorfall sehr groß ist.

Seitlicher BSV:

Der Riss des Faserringes liegt seitlich, rechts oder links. Der Vorfall rutscht in den seitlichen Teil, und zwar in den knöchernen Austrittkanal eines Nerven. Hier ist relativ wenig Raum, und eine Quetschung der Nervenwurzel eher wahrscheinlich.

Sequestierter BSV:

Das vorfallende Gallertgewebe löst sich von der restlichen Bandscheibe und rutscht im Wirbelkanal etwas nach oben oder nach unten.

Massenprolaps:

Wenn sehr viel Material des Gallertkernes austritt, wird der BSV Massenprolaps genannt. Dadurch wird im Wirbelkanal sehr viel Platz beansprucht. Es wird sehr eng für sämtliche Nervenwurzeln, die an dieser Stelle vorbeiziehen. Mehrere Nervenwurzeln können gleichzeitig gequetscht werden. Das Beschwerdebild ist entsprechend vielschichtig. Glücklicherweise kommen Massenvorfälle selten vor.



Eine gesunde BS
zerreißt nicht

Auslösende Momente

Eine gesunde BS fällt nicht vor. Sie ist viel stabiler als die Wirbelkörper, zwischen denen sie als Distanz und Pufferscheibe liegt. Biomechanische Experimente an gesunden Wirbelsäulen haben nachgewiesen, dass bei entsprechend hohen Belastungen zuerst die knöchernen Wirbelkörper brechen, bevor die BS zerreißt

Eine gesunde BS ist etwa 3-mal so stabil wie ein Wirbel

An der LWS (4./5. Lebensjahrzehnt) beträgt die

  • Bruchlast eines Wirbelkörpers etwa 570 kg

  • Bruchlast einer Bandscheibe etwa 1.500 kg

Somit ist die gesunde BS etwa 3 mal stabiler als der knöcherne Wirbelkörper.

Der Verschleiß entwickelt sich über viele Jahre

Voraussetzung für einen BSV ist eine Rissbildung des äußeren Faserringes. Dieser entwickelt sich als Verschleißprozess über viele Jahre. Er beginnt in den inneren Anteilen des Faserringes und entwickelt sich nach außen, auf den Wirbelkanal zu. Der Gallertkern rutscht nach. Erst wenn der äußere Anteil des Faserringes gerissen ist, kann der Gallertkern austreten.

Der letzte „Kick“ schmerzt

Dieser letzte „Kick“ kann plötzlich geschehen bei einer plötzlichen, hohen Druckbelastung der WS (ruckartiges, schweres Heben). In den meisten Fällen rutscht der Gallertkern langsam über einen längeren Zeitraum durch den Riß hindurch.

Haben Bandscheiben Nerven?

Der Gallertkern selbst hat keine Nerven. Somit kann er auch nicht schmerzen. Im äußeren Faserring wurden Nervenrezeptoren gefunden.

Der plötzliche Riß in den äußeren Anteilen des Faserrings schmerzt

Solange Rissbildungen des Faserrings sich schleichend über Jahre entwickeln, geschieht dies ohne Schmerzauslösung. Der beschriebene letzte „Kick“, wenn die noch intakten Fasern des äußeren Faserringes plötzlich einreißen, verursacht Schmerzen.

Schmerzursache

Die meisten BSVs verursachen keine Schmerzen. Kernspinuntersuchungen an Gesunden, also an Menschen, die noch nie Rückenbeschwerden hatten und auch zum Zeitpunkt der Untersuchung beschwerdefrei waren, haben nachgewiesen:

Die meisten BSVs schmerzen nicht

Je nach Alter haben 20-36% aller Gesunden einen BSV. Beschwerden ja oder nein: entscheidend ist wahrscheinlich die stabilisierende Kraft der Rückenstrecker.

Sie haben Rückenschmerzen, akut oder chronisch, mit oder ohne Beinschmerzen. Ihr Kernspin zeigt einen BSV. Dies bedeutet nicht automatisch, dass dieser BSV die direkte Ursache ihrer Beschwerden ist.

BSVs verursachen nur etwa 5% aller akuten Schmerzen

Es wird angenommen, dass lediglich 5% aller akuten Beschwerden direkt von einem BSV verursacht werden. 95% aller akuten Beschwerden werden von Wirbelgelenks-Blockaden verursacht. Lesen Sie dazu unter 2 "Direkt zu Ihrem Problem" das Kapitel "Blockade Wirbelgelenk"

Welche Schmerzen kann ein BSV auslösen?

Die am meisten gefürchtete Folge eines BSV ist die Quetschung einer Nervenwurzel. Dies muß nicht immer zu Lähmungen/Schwächen derjenigen Muskeln führen, die von den betroffenen Nerven versorgt werden.

Leichtere Quetschungen können im Versorgungsgebiet der Nervenwurzeln folgendes verursachen:

  • Missempfindungen wie Taubheit, Kribbeln, Ameisenlaufen

  • Schmerzen, meist elektrisierend empfunden

  • Abschwächungen oder Ausfälle von Reflexen.



Typische Beschwerden durch einen BSV

Weniger bekannt sind folgende Beschwerden, die durch einen BSV ausgelöst werden können:

  • Schmerzen durch Entzündung

  • Schmerz durch Reizung des hinteren Längsbandes



Typische Beschwerden durch einen BSV

Entzündungs-Schmerz

Ein BSV bedeutet, dass Material (der Gallertkern) in eine „fremde“ Umgebung rutscht, wo es nicht hingehört. Darauf reagiert der Körper mit einer Entzündung, einer Stoffwechselaktivität. Der Körper versucht, das „fremd gegangene“ Material aufzulösen. Allein schon diese "Entzündungsreaktion“ verursacht Schmerzen, aber auch eine Schwellung. Diese beengt die räumlichen Verhältnisse noch mehr. Auch eine Nervenwurzel kann durch diese Entzündungsreaktion gereizt werden, ohne dass sie mechanisch gequetscht wird.

Schwellung und Reizung durch „Entzündungs-Reaktion“

Der Reiz der Nervenwurzel geschieht in diesem Fall auf chemischem Weg. Je schneller „fremdes Gewebe“ an einen „falschenOrt“ rutscht, desto heftiger wird eine Entzündungsreaktion ausfallen. Viele Menschen haben BSVs und hatten nie Beschwerden. Deswegen ist davon auszugehen, dass die meisten BSVs sehr langsam vorrutschen. Die Entzündungsreaktion verläuft dann so diskret, dass kein Schmerz bemerkt wird.

Reizung des hinteren Längsbandes

Ein kräftiges Band überzieht die hinteren Flächen der Wirbelkörper und die Bandscheiben. Es begrenzt die bauchwärts gelegene Wand des Wirbelkanales (sh Bild).

Das hintere Längsband wird durch einen BSV „ausgebeult“. In jedem Band des Körpers befinden sich Nervenrezeptoren. Sie registrieren Spannungen und Schmerzen und leiten ihre Messergebnisse weiter an das Rückenmark, an das Gehirn. Wird das hintere Längsband „ausgebeult“ und durch Bücken zunehmend gedehnt, dann „funken“ die Nervenrezeptoren: es schmerzt.

Reflektorisch, also ohne Zutun Ihres Willens, versucht der Körper, den schmerzhaften WS-Abschnitt ruhig zu stellen. Die Rückenmuskeln verkrampfen, die WS kann sich in der betroffenen BS-Etage nicht mehr bewegen.

Beschwerdeverlauf

Der Beschwerdeverlauf von Schmerzen durch einen BSV ist im Prinzip der Gleiche wie unter
LWS – akute Beschwerden beschrieben.

Spontanheilung Auflösung des BSV Verkalkung des BSV Chronifizierung

Im Allgemeinen wird das Gallertgewebe entwässert. Es schrumpft. Dies bedeutet, dass sich der BSV mit der Zeit verkleinert. Einige BSVs verkalken im Laufe der Zeit. Andere BSVs werden durch die „Entzündungsreaktion“ vom Körper komplett aufgelöst. Einige Jahre später sind sie im Kernspin nicht mehr nachweisbar. Wie sich ein BSV im Einzelnen verhält, lässt sich nicht vorhersehen. Etwa 10% der Patienten haben nach 3 Monaten immer noch Schmerzen, die ohne spezielle Therapie chronifizieren.

Verhaltensregel

Bei Beschwerden durch einen BSV gelten die gleichen Regeln wie unter
LWS – akute Beschwerden beschrieben.
Sie sollten bei akuten Beschwerden frühzeitig einen Arzt aufsuchen.

Therapie

Akute Beschwerden werden mit entzündungshemmenden Medikamenten behandelt, außerdem Schmerzmittel bei Bedarf sowie Muskel entkrampfende Mittel.

Eine akute Bandscheibe zunächst „in Ruhe“ lassen

Akute Schmerzzustände lässt man am besten „zur Ruhe“ kommen unter den genannten Medikamenten. Sie sollten sich in dieser Zeit bewegen und belasten, so, wie Sie es vertragen. Bei Bedarf zwischenzeitliche Bettruhe (Stufenbett). Krankengymnastik und sonstige aktive Behandlungen können die akute Phase verschlechtern und den Beschwerdeverlauf verlängern

Eine BS-OP ist in den seltensten Fällen erforderlich. Alarmzeichen - Notfälle

Wenn OP, dann am besten endoskopisch

Die allgemeine Auffassung, dass ein BSV nur dann operiert wird, wenn Muskellähmungen vorliegen, ist nicht ganz richtig. Es gibt reine Schmerzzustände (d.h. ohne Lähmungen), die sich mit keiner Therapie bessern lassen. In solchen Fällen kann eine BS-OP „Wunder wirken“. Lesen Sie dazu bitte auch das Kapitel: Keine Angst vor der Bandscheibe

Nach Abklingen der akuten Phase ist es zu empfehlen, dass Sie die Leistungsfähigkeit Ihrer Rückenstrecker messen lassen. MedX-Diagnostik

Kraft-Diagnostik nach der akuten Phase

Wenn ein Kraftdefizit gemessen wird, sollten Sie Ihre Rückenstrecker auftrainieren. Schwache Rückenstrecker bedeuten, dass Ihre WS nicht ausreichend stabilisiert wird. Fehlbelastungen der Bandscheibe und Wirbelgelenke mit entsprechenden Verschleißerscheinungen sind die Folge.

Vorbeugung

Lesen Sie dazu unter 3 "Therapie-Angebote" das Kapitel "Prävention von Rückenschmerzen".